Hermann und Ulrike by Wezel Johann Karl

Hermann und Ulrike by Wezel Johann Karl

Autor:Wezel, Johann Karl
Die sprache: deu
Format: epub
Herausgeber: (Privatkopie)
veröffentlicht: 2010-02-02T16:00:00+00:00


Unmittelbar nach der Durchlesung des Briefs wurde eine Kutsche bestellt: weil es schon finster war, ließ Herrmann sein leichtes Kufferchen, das seine sämtlichen Effekten in sich faßte, hineinschieben, nahm im Hause Abschied und fuhr davon. Seine neue Wohnung war schön, zierlich, voll Geschmack, der Heinrich, der noch vor einigen Tagen die Schürze trug, zum vornehmen Herrn geworden: alles fand er hier wieder wie auf dem Schlosse des Grafen Ohlau: er kehrte zu dem vornehmen, glänzenden Leben wieder und sah in sein bisheriges wie in ein Grab, wie ins Nichts zurück. Freilich Ulrikens Brief! das war ein verzweifeltes Gegengewicht gegen seine Freude. Er wollte ihn noch einmal lesen, aber er mußte ihn verstecken; denn Vignali trat herein, um ihn aus übertriebner Höflichkeit zu bewillkommnen. Sie nahm ihn mit sich auf ihr Zimmer, wo sie ihm seine Überlegung über Ulrikens Brief aus dem Kopfe rein herausschwatzte. Lairesse stellte sich sehr zeitig ein und trug auch das ihrige zu seiner Aufheiterung bei: sie versuchte ihre ganze unendliche Tändelsucht an ihm. Ihr Lieblingszeitvertreib bestand darinne, daß sie die tollsten, ungeheuresten Figuren in buntem Papiere ausschnitt und ihre Gesellschafter damit ausputzte: deswegen legte ihr Vignali jedesmal, wenn sie zum Besuche bei ihr war, buntes Papier und eine Schere in Bereitschaft, welches auch diesen Abend geschehn war. Sie schnitt Riesen, Zwerge, Polischinelle, Hanswürste, Pantalons und andre Karikaturen. Vignali fand an dieser Beschäftigung allmählich auch Geschmack: auch Herrmann bekam eine Schere, und so saßen sie alle drei an einem kleinen Tischchen, mit der äußersten Geschäftigkeit und Ernsthaftigkeit, und jedes suchte das andre durch die größre Abenteuerlichkeit seines Produkts zu übertreffen. Lairesse sang mitunter ein französisches Liedchen zu der Arbeit, behing den armen Herrmann vom Kopf bis zu den Füßen mit den abscheulichsten Fratzengesichern und lachte ihn aus, schwenkte ihn tanzend ein paarmal um, daß die Papiermänner in dem Zimmer herumflogen, trällerte, aß ein Stückchen Biskuit, neckte Vignali, neckte Herrmann, setzte sich wieder an die Papierarbeit und suchte jedem ihrer Mitarbeiter durch Stöße oder mutwillige Scherenschnitte, wenn sie itzt den letzten vollendenden Meisterschnitt tun wollten, das Werk zu verderben. Die Tischgesellschaft bestund für diesmal nur aus diesen drei Personen, war ebenso kindisch lustig, und Herrmann, dem alle diese Auftritte neu waren, ging zufrieden und vergnügt aus ihr auf sein Zimmer, um sich desto trauriger die Nacht hindurch mit Ulrikens Briefe herumzuschlagen.



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